Ursula K. Le Guin Hainish Zyklus
Freie Geister
Buchlisten
»Freie Geister« (Hainish Zyklus) von Ursula K. Le Guin
Dr. Shevek ist Physiker und lebt auf Anarres, einem Mond des Planeten Urras. Seine Vorfahren verließen vor über 100 Jahren ihre Heimat Urras und siedelten sich auf dem unwirtlichen Mond an, um dort ihre eigene Gesellschaft, frei von Besitztum, Macht, Regierungsgewalt, Luxus und dergleichen mehr, gründen zu können. Was nach purer Anarchie aussah und sich grundlegend von der urrasischen Lebensweise unterschied, etablierte sich rasch zu einer gut funktionierenden Gesellschaftsordung. Bis auf den Austausch von Lebensmitteln und wissenschaftlichen Erkenntnissen, hat man auf Anarres den Kontak zu Urras abgebrochen.
Da Anarres keine eigene Raumfahrt besitzt und die Bewohner auch sonst keinen Wert auf Kontakte zu anderen, von Menschen besiedelten Planeten legen, steht man der neuen wissenschaftlichen Forschungsarbeit von Dr. Shevek nicht nur skeptisch gegenüber, man lehnt sie einfach rundwegs ab. Dieser ist dabei eine Theorie zu entwickeln, die die Grundlagen liefert, um Raumschiffe und Nachrichten ohne Zeitverzögerung durch das Weltall zu befördern. Nachdem man auf Urras auf die Theorie aufmerksam geworden ist, lädt man Shevek zu sich ein, denn im Gegensatz zu Anarres, weiss man auf Urras durchaus einen profitablen Nutzen aus der Therorie zu ziehen.
Als Shevek sich auf die Reise zu seiner Mutterwelt begibt, wird er auf Anarres als Verräter gebrandmarkt.
---
Auch wenn die gebürtige Amerikanerin Ursula K. Le Guin keine Freundin von Schubladeneinteilungen ist, möchte ich Freie Geister (OT: The Dispossessed) dennoch der Kategorie -social SF- zuordnen. Normalerweise bin ich kein Fan dieser Kategorie, SF muss mich unterhalten und fesseln, nicht ermahnen oder mir ein schlechtes Gewissen einreden, aber bei diesem Buch habe ich einmal alle Vorurteile sausen und mich von dem Prädikat eines Meisterwerkes der SF, und dazu noch gekürt mit vielen internationalen Auszeichnungen, beeindrucken lassen. Nachdem mir Die linke Hand der Dunkelheit (OT: The left hand of Darkness), ebenfalls von Le Guin, bereits einige angenehme Lesestunden beschert hat, war das Risiko, eventuell einen Fehlgriff getan zu haben, nicht ganz so hoch.
Freie Geister ist ein Teil der Hainish Reihe, die man jedoch nicht gelesen haben muss um es zu verstehen. Le Guin nimmt, gerade zum Ende hin, oftmals Bezug auf diese Reihe, welcher aber nicht so tief geht, dass es zu Unklarheiten kommen könnte. Le Guin schrieb das Buch 1974 und gewann damit den Nebula und den Hugo Award. Mittlerweile wurde das Werk in Deutschland bereits zum dritten Mal aufgelegt, einmal unter dem Titel Planet der Habenichtse , dann unter Die Enteigneten und nun bei Fischer Tor als Neuübersetzung unter dem Titel Freie Geister . Ob eine Neuübersetzung nötig war, kann ich nicht beurteilen, muss aber anmerken, dass die Übersetzerin Karen Nölle eine (für mich) gute Arbeit abgeliefert hat. Das Buch liest sich flüssig und ohne Holperer.
Allerdings, auch das muss ich fairerweise erwähnen, ist Freie Geister , auch wenn es durchwegs Interessant gewesen ist, kein Buch, welches mich zu Begeisterungsstürmen hat hinreissen können. Es ist eine relativ trockene Kost, immer wieder durchdrungen von Sozialkritik und längeren Passagen, in denen rein gar nichts passiert. Beide Lebensarten sind oftmals sehr überspitzt dargestellt. Getragen wird die Geschichte fast ausschließlich von seinem Protagonisten Shevek. Wer sich mit Shevek nicht anfreunden kann, hat per se schon mal schlechte Karten. Das dürfte jedoch recht unwahrscheinlich sein, denn Shevek wirkt sehr sympathisch und ist kein Eiferer, im Gegensatz zu vielen anderen Charakteren.
In zahlreichen Rückblicken, die sich immer wieder mit der Gegenwart abwechseln, erzählt uns Le Guin seine Lebensgeschichte. Angefangen von seiner Kindheit, über seine Jugend, seine ersten Erfahrungen als Wissenschaflter, bis hin zu seiner Heirat mit Takver, läßt uns die Autorin an seinem Leben teilhaben. Seine selbstgewähle Mission auf Urras und der Versuch, seine noch in den Kinderschuhen steckende Theorie weiter zu entwickeln, zeigen dem Leser viel über die Gesellschaft auf Anarres und Urras. Diese sind so gegensätzlich zueinander wie es nur möglich ist.
Auf Anarres leben die Anarchisten. Sie lehnen Eigentum und privaten Besitz grundsätzlich ab, die Benutzung von Possessivpronomen (mein, dein, euer, unser) kommt einem Verrat an der Gemeinschaft gleich. Entweder man ist gemeinsam arm oder gemeinsam reich, entweder jedem gehört alles oder keinem gehört nichts. Eine Regierung gibt es auf Anarres (offiziell) nicht. Im Gegensatz dazu steht Urras. Eine Welt die in Reichtum schwelgt, in der es Arme und Reiche gibt, eine Regierung, Miltiär und Besitz. Eine Welt der Propertarier. Urras ist eine fruchtbare und grüne Welt, Anarres ein unwirtlicher Mond der seinen Bewohnern alles abverlangt.
Shevek kann nun, da er zu Gast auf Urras ist und deren Lebensweise kennengelernt hat, beide Gesellschaftsformen miteinander vergleichen. Er muss erkennen, dass es auf beiden Welten hinter den Kulissen ganz anders ausschaut als es offiziell sein sollte. Es ist Le Guin hoch anzurechnen, dass sie zwar beide Lebensarten aufzeigt (mit allen Fürs und Widers) aber dennoch keine davon wirklich verurteilt oder bevorzugt. Es ist fast so, als wolle sie zeigen, dass zwar alle ihre Vor- und Nachteile haben, aber ein Kompromiss zwischen beiden einfach der beste Weg wäre.
Sein Beruf als Wissenschaftler versetzt Shevek in die Lage, beide Lebensgewohnheiten relativ neutral zu analysieren. Er neigt dazu, sich eher dem Diktat der Vernuft und der Logik zu unterstellen, als dem Diktat irgendeiner kruden Weltanschauung. Shevek wägt oft sein persönliches Unbehagen gegen den praktischen Vorteil ab. Und oft genug gewinnt letzterer, obwohl er eigentlich im Gegensatz zu dem steht, was die anarresische Lebensweise ausmacht und lehrt. Sheveks Prägung sitzt nicht so tief wie bei vielen seiner Mitbürger. Das macht ihn paradoxerweise zu einem Anarchisten auf einer, durch einen anarchistischen Akt, besiedelten Welt - zu einem Ausgestoßenen und einem Verräter. Sein Entschluß sich gegen "gewisse Gepflogenheiten" seiner eigenen Welt zu stellen und sein Entschluß Urras zu besuchen, bringen das Fass zum Überlaufen.
Positiv ist noch zu vermerken, dass es Le Guin, wie auch schon in Die linke Hand der Dunkelheit , wieder einmal gelungen ist, eine plausible und wunderbar ausgearbeitete Welt (in diesem Fall sogar gleich zwei) zu erschaffen. Wie alles ineinandergreift und sich ergänzt ist wirklich toll geschrieben. In der Hinsicht erinnert mich ihr Weltenentwurf an die Helliconia Trilogie von Brian W. Aldiss.
Fazit
Freie Geister ist zwar nicht immer mitreißend, aber dafür in der Regel immer unterhaltsam. Wenn jemals zwei grundsätzlich absolut unterschiedliche Weltanschauungen aufeinander geprallt sind, dann hier. Ob Le Guin hier nun eine Dystopie oder eine Utopie schildert, könnte zu heißen Diskussionen führen. Mir hat das Buch im Grunde genommen ganz gut gefallen.