Masterton, Graham H.P.Lovecrafts Bibliothek des Schreckens 6
Die Opferung
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»Die Opferung« (H.P.Lovecrafts Bibliothek des Schreckens 6) von Masterton, Graham
Dass der Schriftsteller H.P. Lovecraft den Cthulhu-Mythos erfunden hat,
weiß inzwischen nahezu jeder Rollenspielfan. Aber wer kennt Brown
Jenkin? Dieses übergroße rattenähnliche Wesen mit dem länglichen
Gesicht eines Menschen taucht in der Kurzgeschichte 'Träume im Hexenhaus'
kurz auf und blieb vielen Lesern der Story als alptraumhafte Erscheinung
in Erinnerung.
Auch Graham Masterton hat sich an Brown Jenkin erinnert und entwickelte
um diese Figur einen der furchteinflößendsten Horror-Romane
der jüngsten Zeit. Masterton verlegt das Geschehen ins Jahr 1992
auf der Isle of Wight im Ärmelkanal. Das verfluchte Fortyfoot Haus,
ein ehemaliges Waisenhaus, steht seit langem leer und soll durch den Architekten
David renoviert werden, so dass es verkauft werden kann. David, den vor
kurzem seine Frau verlassen hat, nimmt die Gelegenheit wahr und zieht
mit seinem Sohn Danny in das Haus. Der Architekt will hier sein Leben
neu ordnen. Zunächst trifft er die attraktive Liz, mit der er eine
Beziehung eingeht. Alles scheint in Ordnung zu sein, wären da nicht
das nächtliche Kratzen und Schürfen auf dem Dachboden. Hinzukommt,
dass die Anwohner immer wieder seltsame Geräusche und Licht gehört
haben wollen.
David geht der Sache auf den Grund und engagiert einen Rattenfänger.
Doch als sich dieser auf dem seltsamen Dachboden umsieht, passiert eine
Tragödie, welche sich zu wahrhaft kosmischen Größe aufschwingt.
Denn das merkwürdige Haus enthält noch weitere Bewohner: einen
Mann mit Zylinderhut, der von seiner angestammten Fotografie an der Wand
verschwindet und im Garten auftaucht. Der Geist eines toten Mädchens
mit Würmern im Haar, das in einer verfallenden Kapelle spielt. Eine
rothaarige Frau mit durchdringendem Blick und magischen Fähigkeiten.
Und natürlich das rattenähnliche Ding mit dem Menschengesicht,
das alle Brown Jenkin nennen...
An dieser Stelle soll nicht zuviel verraten werden, aber die Finten,
die Masterton im Roman schlägt, sind aufreibend und führen den
Leser in die Irre - nichts ist so, wie es scheint - oder etwa doch? Der
Autor baut seinen Roman nach klassischem Muster auf. Schon mit dem ersten
Satz wird der Leser in die Geschichte gezogen und kann das Buch erst wieder
aus der Hand legen, sobald er das letzte Wort gelesen hat.
Dabei hat Masterton einen großen Makel moderner Horror-Romane
geschickt umgangen: der Abfall der Spannung im Mittelteil. Wo andere
Autoren psychologisches Hintergrundmaterial wie auf einer biologischen
Restmülldeponie ausbreiten oder in ein anderes Genre abdriften, verbreitet
Masterton Schrecken pur. In jedem Kapitel ist ein furchterregendes Ereignis
der Handlungsmittelpunkt. Dem Schriftsteller gelingt es sogar, den Grad
an Grauen mit jedem Kapitel zu steigern. Mir haben sich stellenweise die
Nackenhaare vor Schauder aufgestellt - ein gutes Zeichen, denn das passiert
mir selbst bei einer Horrorkurzgeschichte kaum noch, aber bei einem Horror-Roman
nahezu nie!
Graham Masterton hat mit dem Roman "Die Opferung" ein Kleinod
des Genres erschaffen, das sich ein Phantastikfan nicht entgehen lassen
darf. Wieder einmal beweist Frank Festa mit der Veröffentlichung
dieses Romans, dass er ein Experte auf dem Gebiet der unheimlichen Phantastik
ist. Die Übersetzung ist gelungen - einige wenige Rechtschreibfehler
trüben das Bild nur ein klein bisschen.
Meine Wertung: 9 von 10 Punkten.